Tag 2 vom Freak Valley Festival 2019
Fast ausgeschlafen, und mit viel frisch gebrühtem Kaffee resumieren wir am frühen Morgen den vorangegangenen Tag. Django überträgt die Bilder auf die Festplatte, ich überarbeite meine Notizen. Dazu einen frischen Orangensaft für den Vitaminhaushalt. Die Sonne verrät uns mit ihren bereits jetzt wärmenden Strahlen, dass es ein blendender Tag werden wird. Ein wenig zu blendend für mich, wie sich später noch herausstellen wird. Doch zunächst läuft alles perfekt, und so machen wir uns auf, um pünktlich zur Mittagszeit Lacertilia in Augen- und Ohrenschein zu nehmen, denn im Programmheft ist die Bands schon sehr interessant beschrieben: „genre-spanning UK progressive, heavy, psychedelic, space, whatever-you-got rockers“ …OK… Nun, das macht neugierig, und so stehen wir bereits an der feinen kleinen Wake & Bake Bühne, wo wir in den vergangenen Jahren immer wieder herausragend gute Bands zum Frühstück serviert bekommen haben. Auf manch anderem Festival bekommt man um diese Zeit eher „Friß oder stirb“-Bands zum Fraß vorgeworfen, die einem eher leidtun, doch im Valley ist eben alles anders. So auch in diesem Jahr.
Band: Lacertilia Bilder: Django Foto
Mit Lacertilia stehen 5 Briten aus Cardiff auf der Bühne, die optisch ebenso vielschichtig und teilweise skurril anmuten, wie ihre Bandbeschreibung. Und so wie sie mit den ersten Tönen den Gästen die Müdigkeitsfalten aus dem Gesicht bügeln, so scheint es dem Drummer auch schon die Hose ausgezogen zu haben. Zumindest ist das, was sich davon noch erahnen lässt einfach zu wenig. Aber das tut dem Sound glücklicherweise keinen Abbruch. Melodisch, und dennoch mit durchaus punkiger Attitude durchstreifen sie die diversen angekündigten Stilrichtungen gekonnt, wobei ich noch eine Spurrille mit Blues-Rock hinzufügen würde. Alles in allem agieren die vom Brexit genervten Briten mit vollem Einsatz, und als wenn es bereits die Headliner-Position wäre, die sie gerade bespielen. Ein wirklich toller rockiger Auftakt, wenngleich auch mit einer optischen Herausforderung.
Es wird zunehmend wärmer und ich merke, dass die Klamottenwahl nicht die klügste gewesen ist. Aber bevor ich daran etwas ändern kann, geht der zweite Act auf der Wake & Bake Bühne in Stellung. Und wie eine Brücke nur zwei Enden hat, so hat diese Band nur zwei Musiker. Das Duett aus Saarbrücken, welches ohne das heiß erwartete Lama (Alpaka) erscheint, heißt Pretty Lightning und zelebriert psychedelic Blues-Rock. Es ist schon ein wenig faszinierend, wie ein unglaublich schüchtern wirkender, mit einer bildschönen knapp unter das Kinn geschnallten Gitarre, und ein ungleich cooler wirkender bärtiger Schlagzeuger mit so wenig, so gekonnt die Menge vor der Bühne im rhythmischen Schwitzkasten haben. Die Songs schrauben sich quasi ins Gehör. Und während am Schlagzeug parallel auch noch mit diversen Percussion-Instrumenten agiert wird, schippert die Gitarre zwischen Blues und Psychedelic-Rock gefühlt über den musikalischen Mississippi. Zu zweit etwas zu kreieren, was den Großen dieses Genres in Nichts nachsteht ist schon eine Kunst für sich.
Band: Pretty Lightning Bilder: Django Foto
Jetzt wird es allerdings doch zu warm um die Beine, und so treibt es mich fix zum Klamottentausch ans Festival-Mobil. Es muss schnell gehen, denn gleich stehen Dead Lord auf der großen Bühne parat. Auf dem Rückweg noch ein kurzer Aufenthalt an der Gersten-Tränke und dann erklingt auch schon Volkers Stimme „Hallo Freunde“. Also ran an die Stage, denn jetzt gibt es schwedischen Classic Heavy Rock. Vor der Bühne wird es langsam aber stetig voller, und trotz zunehmender Hitze geht die Menge mit. Mehrfach wurden mir die Jungs nahegelegt, und so waren meine Erwartungen hoch. Dies ist manchmal nicht die beste Voraussetzung um sich eine Band anzusehen. Und so kommt es leider, wie befürchtet. Die Band macht einen amtlichen Job, rockt und bewegt die Masse, nur bei mir zündet es irgendwie nicht. Gute Stimme, gute Songs, gute Technik, gute Stimmung, an nichts gibt es etwas zu nörgeln, nur fehlt mir der entscheidende Kick, das besondere Etwas.
Band: Dead Lord Bilder: Django Foto
Zwischen diversen Gesprächen, Fachsimpeleien, Begrüßungen und Kaltgetränken machen sich nun The Great Electric Quest bereit. Bis dato war mir diese Band noch quasi unbekannt, und vielleicht war es auch das, was dann den Überraschungsfaktor bildete, der mir bei Dead Lord gefehlt hat.
Bereits seit 9 Jahren sind die vier Rocker aus San Diego unterwegs, umso bemerkenswerter, dass sie mir bis dato irgendwie nie untergekommen sind. Im ersten Moment kam mir ohnehin der Gedanke „och nöö, jetzt nicht so ne Kostüm-Band“, aber trotz albernem Umhang wurde ich eines Besseren belehrt. Bühnen-Agilität 2.0, druckvoller treibender Heavy-Rock der nicht nur Spaß macht, sondern gleich eine ganze Party zelebriert. Im Posing geben die Vier in San Diego sicherlich Workshops, die monatelang im Voraus ausgebucht sein dürften.
Band: The Great Electric Quest Bilder: Django Foto
Und so komme nicht nur ich auf meine musikalischen Kosten, sondern auch Django kämpft mit den Kapazitäten seiner Kamera-Speicherkarten. Ein großartiger Auftritt, der absolut verdient bejubelt wird.
Nun geht die musikalische Reise von San Diego wieder zurück über den großen Teich nach Norwegen. Aus Tromsö stammt die Band Pristine um Mastermind Heidi Solheim. Die Powerfrau mit den feuerroten Haaren steht für erstklassigen Blues-Rock mit Funk`n Soul Elementen. Sie schreibt, komponiert, managed, koordiniert, singt und ist dabei so sympathisch unkompliziert und verrückt, wie Pippi Langstrumpf.
Und so wirbelt sie auch über die Bühne wie ein roter Derwisch und zaubert mit ihrer großartigen Stimme Gänsehaut auf die inzwischen teils rotglühenden Körperpartien der begeisterten Freaks. Wehende Haare auf und vor der Bühne, begeisterter Jubel zu großartiger Musik einer absolut genialen Band. Und als Heidi zum Abschluss „Derek“ spielt ist dann auch kein Halten mehr beim Rest, und so wird ekstatisch gefeiert und getanzt, als wenn es kein Morgen gibt.
Band: Pristine Bilder: Django Foto
Es ist kurz vor 17 Uhr, und Zeit eines der vielen kulinarischen High Lights des Festivals zu genießen. Dieses Mal darf es eine vegetarisch indische Currypfanne mit Reis sein, alles Bio, alles nachhaltig. Ohnehin fällt schon deutlich auf, dass kaum Plastik auf dem Festival-Gelände zu finden ist. Fast alle Lebensmittel werden in Pappe, Papier und Holz angeboten, sind Bio und quasi hausgemacht. Der Freak Valley Festival-Merch ist fair produziert und gehandelt und auch nicht in lästigem Plastik verpackt. Leider sind die neuen Festival-Kaffee-Becher aus Emaille bereits am ersten Tag ausverkauft. Doch dafür ergattern wir noch eine der limitierten Bushfire Vinyl-live-Alben, mit ihrem Auftritt vom vergangenen Jahr auf dem Freak Valley Festival, und mit einigen Band-Fotos von meiner besseren Hälfte Django. Eine wirkliche Besonderheit, die es wohl auch nur auf ganz wenigen Festivals geben dürfte. Für uns ist es bereits die dritte Schreibe, mit einem Live-Auftritt auf diesem Festival, welches wir hier selbst live gesehen haben. Und während wir noch an unserer leckeren Curry-Pfanne mümmeln, gehen Raketkanon auf der Bühne in Stellung. Die Jungs sind quasi als Ersatz für „It´s Not Night: It´s Space“ am Start. Die Belgier sind in diesem Jahr eine der Bands, mit denen ich so gar nicht warm werde. Bereits im Vorfeld konnten sie mir nicht mehr als eine hochgezogene Augenbraue in Kombination mit einem fragenden „Hä? WTF“ abringen.
Doch ich dachte, es könnte vielleicht so laufen wie mit Dyse im vergangenen Jahr, die sich als herausragend entpuppten. Die Belgier haben dies leider nicht geschafft.
Band: Raketkanon Bilder: Django Foto
Ob es mir zu verrückt, zu experimentell, zu thematisch zu weit weg vom Valley-Style war, oder ob ich das Ganze einfach nicht verstanden habe? Ja! All das trifft hier zu, denke ich. Aber muss mir denn auch alles gefallen? Nein. Insofern alles gut, und wir können in Ruhe weiter essen und noch ein wenig entspannen, denn gleich erwarten wir einen weiteren unserer diesjährigen Höhepunkte im Line up: Tuber aus Griechenland.
2015 waren die vier Griechen unsere absolute Überraschung, und so freuen wir uns umso mehr sie in diesem Jahr wieder hier sehen zu können. Zwischen instrumentalem Kraut- und Space-Rock agieren diese Ausnahme-Musiker aus dem sonnigen Kreta in einer Brillanz, die ihresgleichen sucht. Sie zelebrieren ein Potpourri ihrer besten Songs aus der nun mehr als 12jährigen Bandgeschichte. Songs, die uns entführen und mitnehmen auf eine sphärische Reise durch ihre Welt. Für mich gibt es hier ohnehin kein Halten mehr und so fliegen die Haare ohne Unterlass bis zum Ende dieses wunderbaren Auftritts, welcher mit Desert Overcrowded den Höhepunkt bildet und von frenetischem Applaus beendet wird.
Band: Tuber Bilder: Django Foto
Die glühende Sonne strahlt dabei ohne Erbarmen auf uns hernieder, und langsam merke ich meinen Kreislauf. Nun heißt es Wasser trinken, viel Wasser, und durchhalten. King Buffalo, welche in diesem Jahr vom Rockblog Bluesspot präsentiert werden, stehen bereits auf der Bühne.
Band: King Buffalo Bilder: Django Foto
Weder optisch, noch vom Ego her könnte man erahnen, dass diese drei Typen aus New York kommen. Zurückhaltend und eher aus Südamerika stammend stehen sie auf der Bühne, und von einer „King“-Attitude sind sie so weit entfernt, wie eine Schülerband beim zweiten Auftritt in der Schulaula. Musikalisch hingegen schlagen sie schon eher königliche Klänge an. Eingängiger warmer Rock mit krautiger Note, vereint in spielerischem Können flutet das Infield und die umliegenden Bereiche, wo ausgiebig gechillt und dennoch mitgewippt wird, während kräuterduftschwangere Wolken umherziehen.
Es könnte so schön sein und noch besser werden, wenn mein Kreislauf jetzt nicht den Dienst verweigern würde. Ob zu viel Sonne, oder zu viel Gewirbel bei Tuber, ich weiß es nicht, aber für mich heißt es an dieser Stelle zurück zum Festival-Mobil und dem ganzen Treiben in der Waagerechten zu lauschen. Bei A Place To Bury Stangers triggert mich dieser körperliche Ausfall allerdings nicht besonders, da die experimentellen Post-Space-Rocker aus Brooklyn durch den eher schreienden Gesang für mich ohnehin nicht besonders interessant gewesen wären. Auch was von der Bühne zu mir rüber schallt bestätigt mich eher darin auf meinen Körper zu hören, anstatt auf die Musik. Allerdings ist Django glücklicherweise noch unterwegs um zumindest ein paar Bilder einzufangen.
Band: A Place To Bury Stangers Bilder: Django Foto
Umso progressiv mathematischer scheinen anschließend YOB zu Werke zu gehen. Die beeindruckende Stimme erschallt über den Platz zu mir herüber, während ich heute das erste Mal ein Schlagzeug als tatsächliches musikalisch eigenständiges Instrument wahrnehme, anstatt als Taktgeber. Doch auch hier spielt der Kreislauf nicht mit, und so entgeht mir dieser akustisch wunderbare Auftritt in seiner optischen Vollkommenheit leider auf tragische Weise.
Band: YOB Bilder: Django Foto
Und so werden auch Corrosion of Conformity, welche das 25jährige Release-Datum ihres Erfolgsalbums Deliverance zelebrieren werden, für mich nur zu einem Hörspiel, welches von brachialem Jubel eingerahmt wird. Und mit diesem Soundtrack im Ohr entschwinde ich in erholsame Träume.
Band: Corrosion Of Confirmity Bilder: Django Foto